Liebe Geschwister, was soll ich predigen? – Ja, ob Ihr es glaubt oder nicht, aber diese Frage meine ich ernst. Ihr wisst doch eigentlich alles, was man wissen muss, um ein guter Mensch, ein guter Christenmensch zu sein und die Welt durch unseren Glauben schöner, friedlicher und zukunftssicherer zu machen.
Leute, wir gehen auf Weihnachten zu. Das ist doch Frieden pur. Alle Menschen lieben sich, nehmen sich im goldenen Glanz des Lichtes bei White Christmas in die Arme, vergießen Tränen der Rührung. So suggerieren es zumindest alle Weihnachtsfilme, die man so im Fernsehen sehen kann.
Aber so ist es nicht. Die Welt sieht anders aus. Unter uns leben sehr viele Menschen, die ihr Weihnachtsfest lieber zu Hause als hier feiern würden, in Kiew, Cherson, Charkiw oder Odessa. Aber sie sind hier, mit ihren Kindern und ihre Männer kämpfen an der Front.
Alle zwei Wochen kommt seit einer Weile bei uns in Garmisch-Partenkirchen ein Bus mit etwa fünfzig Flüchtlingen aus der Türkei, Syrien, Afghanistan und anderen Ländern an, so genannte Zwangszuweisungen. Alles Menschen, die dort, wo sie herkommen, nicht leben können, weil sie dort verfolgt oder bedroht werden.
Unsere Welt ist weit davon entfernt weihnachtlich, romantisch in Ordnung zu sein. Und dafür brauchen wir keine Zeitung. Wir müssen nur auf unsere Straßen gehen, um zu sehen, dass Menschen aus aller Welt bei uns sind, die bei uns den Frieden suchen. Und weil das so ist, spüren auch wir das. Denn der Unfrieden in der Welt kann nicht spurlos an uns vorübergehen.
Wer von uns das Tagblatt liest, kann seit Anfang Dezember eine Serie mit Geschichten über Menschen in unserem Ort, in unserem Landkreis lesen, denen es nicht so gut geht. Ja, wenn wir auf das Leid in der Welt blicken, dürfen wir auch das Leid bei uns nicht aus dem Blick verlieren. Seit Anfang Dezember läuft wieder die Weihnachtsaktion des Tagblatts zusammen mit der Bürgerstiftung – bei der ich auch im Stiftungsrat bin. Wir sammeln für Menschen, die unverschuldet in Not geraten sind, weil sie Ihre Stromrechnung nicht bezahlen können. Und in diesem Zusammenhang erzählt die Zeitung immer wieder Geschichten von Menschen unter uns, die in solche Situationen geraten sind. Und das sind mehr als wir denken.
In dieser Zeit muss ich immer wieder an ein kleines Büchlein mit Weihnachtsgeschichten denken, das ich als Kind gelesen habe. Es trägt den Titel „Die Freude ist nah“. Das Buch ist von 1952 und geprägt von den dieser Zeit. Lauter Geschichten von Menschen, die nicht viel haben, die keine großen Geschenke machen können, kein Konsum-Weihnachten, sondern stille Bescheidenheit. Und ich glaube, dass wir heute wieder ganz nah an diesen Geschichten von 1952 sind. Wir dürfen wieder Bescheidenheit lernen, die Freude am Kleinen und die Wertschätzung des Kleinen durch Dankbarkeit.
Und wisst, was mich damals als Kind so sehr an diesen Geschichten fasziniert hat? Ich fand mich selbst irgendwie darin wieder. Wir konnten damals als Familie keine großen Sprünge machen. Meine Eltern mühten sich – wie in diesen Weihnachtsgeschichten – uns die Zeit, das Leben schön zu machen und uns auf einem guten Weg ins Leben zu bringen, damit es uns mal besser ginge. Das ist ihnen gelungen. Sie haben viel in uns drei Geschwister investiert. Und damit meine ich nicht das Geld, sondern das, was sie uns mit auf den Weg gegeben haben. Meine Eltern hatten den Krieg er- und überlebt und sie haben uns so erzogen, dass Frieden für uns das höchste Gut war und ist.
Meine Eltern waren keine politischen Menschen und genau deshalb politisch. Sie haben ihre Energie und ihre Kraft daraus gezogen, dass wir als Kinder ihr Ja zum Leben waren, ihr Ja zu einer lebenswerten Zukunft. Wir waren ihr Trost für ihre verlorene Kindheit und Jugend.
Tröstet, tröstet mein Volk!, spricht euer Gott. 2 Redet mit Jerusalem freundlich und predigt ihr, dass ihre Knechtschaft ein Ende hat, dass ihre Schuld vergeben ist; denn sie hat die volle Strafe empfangen von der Hand des Herrn für alle ihre Sünden. 3 Es ruft eine Stimme: In der Wüste bereitet dem Herrn den Weg, macht in der Steppe eine ebene Bahn unserm Gott! 4 Alle Täler sollen erhöht werden, und alle Berge und Hügel sollen erniedrigt werden, und was uneben ist, soll gerade, und was hügelig ist, soll eben werden; 5 denn die Herrlichkeit des Herrn soll offenbart werden, und alles Fleisch miteinander wird es sehen; denn des Herrn Mund hat’s geredet. 6 Es spricht eine Stimme: Predige!, und ich sprach: Was soll ich predigen? Alles Fleisch ist Gras, und alle seine Güte ist wie eine Blume auf dem Felde. 7 Das Gras verdorrt, die Blume verwelkt; denn des HERRN Odem bläst darein. Ja, Gras ist das Volk! 8 Das Gras verdorrt, die Blume verwelkt, aber das Wort unseres Gottes bleibt ewiglich. 9 Zion, du Freudenbotin, steig auf einen hohen Berg; Jerusalem, du Freudenbotin, erhebe deine Stimme mit Macht; erhebe sie und fürchte dich nicht! Sage den Städten Judas: Siehe, da ist euer Gott; 10 siehe, da ist Gott der Herr! Er kommt gewaltig, und sein Arm wird herrschen. Siehe, was er gewann, ist bei ihm, und was er sich erwarb, geht vor ihm her. 11 Er wird seine Herde weiden wie ein Hirte. Er wird die Lämmer in seinen Arm sammeln und im Bausch seines Gewandes tragen und die Mutterschafe führen. Jesaja 40, 1-11
Soweit der Predigttext aus dem Buch des Propheten Jesaja. Jetzt wisst Ihr, warum ich eingangs die Frage gestellt habe: „Was soll ich predigen?“
Es ist zuerst einmal der Trost in schweren Zeiten. Auch wenn wir es jetzt kaum glauben möchten, weil wir ja alle trotz unseres Glaubens so gerne Realo-Pessimisten sind, aber die Knechtschaft durch diese Verhältnisse wird ein Ende haben, ein Ende, wenn wir erkennen, dass nichts selbstverständlich ist. Denn wir leben in einer Zeit, die auch eine Folge unseres Glaubens an die Selbstverständlichkeit ist.
Selbstverständlich aber sollte es sein, Gott in unserem Leben, unserer Welt, nicht nur Raum zu geben, sondern ihm auch den Weg zu bereiten. Das heißt, lasst uns von Gott erzählen, als sei es das selbstverständlichste der Welt, um anderen Menschen für ihn die Augen zu öffnen. Wer nicht von Gott erzählt, redet oder gar schwärmt, leugnet ihn.
Ja, deshalb spricht bei Jesaja die Stimme: „Predige!“ das ist ein Befehl, eine Aufforderung. Und schon kommt die klassische Gegenfrage aus Überforderung: „Was soll ich predigen?“
Und was bekommen wir als Antwort? Erst einmal ein Bild der Vergänglichkeit. Alles ist vergänglich wie die Blumen und das Gras auf dem Feld, aber das Wort Gottes bleibt ewiglich. Ja, das ist es doch! Wir klagen immer darüber, dass unsere Kirchenmitglieder immer weniger werden, dass Menschen austreten, dass Menschen sterben und immer weniger zur Kirche kommen. Wusstet Ihr eigentlich, dass in unserer Gemeinde die Austritte nur 16% vom Mitgliederschwund ausmachen, die Wegzüge aber 64%? Ja, unser größtes Problem sind nicht die Menschen, die austreten, sondern die, die wegziehen. Und wer wegzieht, sind die jungen Familien, die sich hier das Wohnen nicht leisten können oder die frischen Rentnerinnen und Rentner, die nicht den Großteil ihrer Rente für die Miete ausgeben wollen. Das nur mal als ein Hinweis am Rande, was uns als Kirchengemeinde das Leben schwer macht. Und wenn Ihr glaubt, dass das in unserer Kirchengemeinde durch Neuzugezogene wieder ausgeglichen wird, habt Ihr Euch getäuscht. Es ist schrecklich, dass es selbstverständlich möglich ist, dass hohe Mieten unser Zusammenleben zerstören. Das ist zwar ein anderes Thema, aber es gehört auch dazu, wenn’s ums Predigen geht.
Also, wenn wir uns darüber beklagen, dass so wenig Menschen zu uns in die Gottesdienste, in die Gemeinde kommen, dann hat das auch etwas mit jedem einzelnen von uns zu tun, denn nicht der Pfarrer ist allein Gemeinde, sondern wir alle gemeinsam. Darum heißt es auch Gemeinde. Also, was macht Ihr, wenn Ihr ein Buch tollfindet oder der Schweinebraten in einer Wirtschaft für Euch der Beste am ganzen Ort ist, ein Theaterstück oder einen Arzt oder Ihr von einem Apotheker begeistert seid, der Euch gute berät? Genau! Ihr empfehlt Ihn weiter. Wann habt Ihr denn zum letzten Mal unsere Gottesdienste weiterempfohlen oder unsere Veranstaltungen oder gar unsere Gemeinde – von Gott ganz zu schweigen?
Was soll ich predigen? – Ja, auch das gehört dazu. Denn nicht allein der Pfarrer predigt, sondern auch Ihr, liebe Geschwister.
Also steigt auf die hohen Berge und erhebt Eure Stimmen mit Macht, erhebt sie und fürchtet Euch nicht. Fürchtet Euch nicht vor der Gegenrede der Andersdenkenden, denn Gott hat Euch zugerufen: Predigt! – Macht Gott in der Steppe der Gottes- und Kirchenferne eine Bahn, denn die Herrlichkeit Gottes soll offenbart werden. Predigt!
Amen.
Pfarrer Martin Dubberke, Predigt am 3. Adventssonntag, 11. Dezember 2022 über Jesaja 40, 1-11, Perikopenreihe V, in der Markuskirche zu Farchant und der Friedenskirche zu Burgrain