Kommt man in eine Kirche fällt einem in der Regel auch gleich die Kanzel auf. Es gibt Kirchen, in denen die Kanzel mehr einem Rednerpult gleicht und es gibt Kanzeln, die erzählen ganze Geschichten und werden selbst zu einer kunstvollen Predigt. Dann gibt es Kanzeln, die leicht erhöht sind oder solche, die in den Hochaltar integriert sind. Das findet man häufig in meiner alten Heimat in den brandenburgischen Dorfkirchen. Und dann gibt es Kanzeln, die weit über den Köpfen der Gemeinde angebracht sind, so dass man sie über eine Treppe erst erreicht.
Eine klassische Kanzel besteht aus drei Elementen: einem Kanzelfuss, dem Kanzelkorb und schließlich dem Schalldeckel über der Kanzel. Der Schalldeckel dient der besseren Akustik. Sprich: Die Kanzel ist aufgrund ihrer erhöhten Position und dem Schalldeckel im Grunde genommen die Vorwegnahme der heutigen Tonanlagen mit Mikrophon und Lautsprechern. Die Kanzel diente dazu, dass der Prediger besser gesehen und gehört werden konnte und natürlich auch selbst seine Schäfchen besser sehen konnte.
Aber wo liegt der Ursprung der Kanzel? Wie kam die Kanzel in die Kirche? Ursprünglich gab es in den Synagogen oder Kirchen einen Predigtstuhl, einen erhöhten Ort, vom dem aus der Geistliche gepredigt hat.
Der Begriff Kanzel geht auf das lateinische Wort „cancelli“ zurück, was so viel wie „Gitter“ oder „Schranken“ bedeutet. Das bezieht sich erst einmal auf den Ort, von wo aus gepredigt wurde, nämlich von einem Ambo in der Nähe der Schranken zwischen Chorraum und Kirchenschiff. Ein Ambo ist ein Lesepult, das feststehend und würdig ist.
Die Kanzel, wie wir sie heute kennen, kam erst im Mittelalter auf und wurde von den Dominikanern und Prämonstratensern, den sogenannten Predigerorden, eingeführt. Der Prediger sollte gut gesehen werden und er sollte vor allem gut gehört werden. Daher wurde die Kanzel auch immer dort angebracht, wo sie nicht nur akustisch, sondern auch visuell optimal platziert war.
Nachdem die Kanzel nur ein rein technisches Möbel war, um es mal so zu sagen, änderte sich das im Laufe der Reformation. Die Kanzel gewann in der Evangelischen Kirche an symbolischer Bedeutung, weil die Predigt ins Zentrum des Gottesdienstes gerückt war. Der evangelische Grundsatz von „sola scriptura“ kam auch hier zum Tragen. „Allein durch die Schrift“ besagt, dass die Bibel allumfassend die Heilsbotschaft vermittelt und weitere kirchliche Überlieferungen nicht notwendig sind. Daher wurden die Kanzeln – wie in meiner alten Heimat – oft auch über dem Altar installiert, um jedem die Äquivalenz, die Gleichbedeutung von Wort und Sakrament deutlich werden zu lassen. Das war und ist ein wichtiges theologisches Statement.
Mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil nahm die Katholische Kirche im Hinblick auf die Kanzel eine wichtige Veränderung vor: Die Kanzel wurde durch den Ambo ersetzt. Dieses sollte einen weniger hierarchischen Predigtstil fördern.
Auch in der Evangelischen Kirche gibt es inzwischen keine liturgische oder akustische Notwendigkeit mehr für eine Kanzel, da wir heute fast überall Mikrophone haben. Und in einer demokratisch verfassten Kirche, wie der Evangelischen bedarf es keines Ortes mehr, an dem wir als Predigende über den Menschen stehen. Die Altarräume sind in aller Regel erhöht wie eine Bühne, damit man einen auch von den letzten Reihen aus sehen kann, aber wann sind die Kirchen heute schon so voll, dass man den Menschen da vorne nicht mehr sehen kann? Ganz ehrlich? Wir brauchen keine Kanzel mehr, um Lautsprecher des Wortes Gottes zu sein.
Pfr. Martin Dubberke