Als ich vor sechs Jahren in Garmisch-Partenkirchen meine Pfarrstelle angetreten habe und in die Johanneskirche kam, war ich ein wenig verwundert. Auf dem Altar standen zwei Kerzen, Altarblumen und das Altarkreuz. Das war es. Kein Antependium und keine Altarbibel.
Als Lutheraner in einer Evangelisch-Lutherischen Landeskirche war ich damals darüber ein wenig überrascht. In meiner alten unierten Berliner Landeskirche hatte ich noch nie einen Altar ohne Bibel gesehen, selbst, wenn ich in Brandenburg in den Einrichtungen des Diakonischen Trägers, für den ich lange gearbeitet habe, unterwegs war, legten die Kolleginnen und Kollegen, die oft nicht Mitglied der Kirche waren, eine Bibel auf den improvisierten Altar. In einer Evangelischen Kirche muss immer eine eine aufgeschlagene Bibel auf dem Altar liegen. Das ist quasi wie ein Gesetz.
Aber warum ist das so? – Schuld daran ist Martin Luther. Er war der Ansicht, dass die Heilige Schrift im Zentrum des christlichen Glaubens und daher auch im Gottesdienst stehen sollte. Es war ihm absolut wichtig, dass das Wort Gottes in Gestalt der Bibel für alle Gläubigen zugänglich sein müsse, da sie die Quelle für Lehre, Trost und Glaubensstärkung ist. Das war der Grund, weshalb er forderte, dass die Bibel auf dem Altar zu liegen habe, um zu zeigen, dass die Verkündigung des Evangeliums und nicht kirchliche Traditionen oder Autoritäten im Mittelpunkt stehen sollten.
Dafür hat Martin Luther einen wichtigen Begriff geprägt, der bis heute eine der zentralen Grundlagen des Protestantismus ist: Das "sola scriptura"-Prinzip. Auf Deutsch: „Allein die Schrift“. Allein die Bibel ist die höchste Autorität des Glaubens. Dieses Prinzip lässt sich auch aus seiner 1522 entstandenen Vorrede zu seiner Übersetzung des Neuen Testaments herauslesen.
Martin Luthers Anliegen war es, dass die Gläubigen nicht von Mittlern oder komplizierten kirchlichen Systemen abhängig sein sollten, sondern selbst das Wort Gottes verstehen und daraus Kraft schöpfen können. Daher symbolisiert die Bibel auf dem Altar diese Rückbesinnung auf die Bibel als Fundament des Glaubens.
Es lassen sich damit vier zentrale Aspekte zur Bedeutung der Altarbibel festhalten:
- Verkündigung des Wortes Gottes
Die Bibel auf dem Altar erinnert daran, dass die Predigt und die Verkündigung des Evangeliums im Mittelpunkt des Gottesdienstes stehen.
- Symbole der Offenbarung
Die aufgeschlagene Altarbibel symbolisiert, dass Gott sich durch die Heilige Schrift offenbart und zu den Menschen spricht.
- Präsenz Gottes
Die Bibel auf dem Altar betont die Gegenwart Gottes im Wort. Sie erinnert daran, dass Gott im Gottesdienst anwesend ist und durch das Lesen und Auslegen der Schrift zu den Gläubigen spricht.
- Erinnerung an die Reformation
Ein zentraler Gesichtspunkt hinsichtlich der Altarbibel ist die Übersetzung der Heiligen Schrift ins Deutsche durch Martin Luther. Diese Übersetzung war ein wesentliches Element der Reformation, die dazu geführt hat, dass die Bibel in der evangelischen Tradition diese besondere Bedeutung erlangt hat, weil die Reformation die zentrale Rolle der Heiligen Schrift im Glaubensleben wiederentdeckt hat.
Pfr. Martin Dubberke