Liebe Geschwister, verraten, gemobbt und im Sterben noch geschäht. So hängt Jesus über uns am Kreuz und blickt von da oben auf uns Sünderinnen und Sünder hier unten. Seine Hände und Füße sind genagelt, können nicht mehr gehen, nicht mehr handeln, keine Hand auflegen. Nackt und bloß ist er auf seine menschliche Existenz reduziert.
Doch alle, die vor dem Kreuz stehen, müssen zu ihm aufschauen, können sich nicht wegducken. Da hängt ein Leib, der geschunden ist, geschunden wie die Welt, in der wir leben. Geschunden ist er durch uns, damals wie heute. Er kam ans Kreuz, weil sich die Menschen einig waren. Sie hatten sich verschworen. Sie hatten eine Gemeinschaft gebildet, eine Gemeinschaft, die so weit von dem entfernt ist, was Jesus Christus in und mit seinem Leben gewollt hat, dass uns der Blick nach oben in sein Angesicht auch heute noch beschämt.
Der Geist, der Jesus ans Kreuz gebracht hat, lebt heute noch und wirkt leider heute noch desgleichen. Er lebt in unserer Gesellschaft, ja auch in unserer Kirche und damit – wie kann es denn anders sein, weil wir selbst ein Querschnitt dieser Welt sind – ebenso in unserer Gemeinde. Denn wir sind Sünderinnen und Sünder. Daran erinnert uns das Kreuz an Karfreitag, das Kreuz, an dem Jesus Christus fixiert ist, das Kruzifix. Das Kruzifix konfrontiert uns mit unserer Sünde. Welche meiner Sünden hängt da auch mit ihm am Kreuz?
Gegen wen habe ich falsch Zeugnis geredet?
Wen habe ich gerichtet, obwohl es mir nicht zusteht zu richten, weil nur Gott allein richten darf?
Gegen wen war ich überheblich? Habe mich über ihn erhoben und verhoben?
O Haupt, voll Blut und Wunden,
voll Schmerz und voller Hohn,
o Haupt, zum Spott gebunden
mit einer Dornenkron,
o Haupt, sonst schön gezieret
mit höchster Ehr und Zier,
jetzt aber hoch schimpfieret:
gegrüßet seist du mir!
Du edles Angesichte,
davor sind schrickt und scheut
das große Weltgewichte:
wie bist so so bespeit,
wie bist so erbleichet!
Wer hat dein Augenlicht,
dem sonst kein Licht nicht gleichet,
so schändlich zugericht?
Die Farbe deiner Wangen,
der roten Lippen Pracht
ist hin und ganz vergangen;
des blassen Todes Macht
hat alles hingenommen,
hat alles hingerafft,
und daher bist du kommen
von deines Leibes Kraft.
Nun, was du, Herr, erduldet,
ist alles meine Last;
ich habe es selbst verschuldet,
was du getragen hast.
Schau her,
hier steht ich Armer,
der Zorn verdienet hat.
Gib mir, o mein Erbarmer,
den Anblick Deiner Gnad.
Für diese Gnade darf ich vor ihm mein Knie beugen und zu ihm aufschauen. Wenn ich zu ihm aufschaue, kann ich mich seinem Blick nicht mehr entziehen. Dann spüre ich den Schmerz in meinem Herzen, den Stich, der mir durch meine Seele geht. Und dann spüre ich die Gnade, wenn ich in und mit meinem Leben zu ihm aufschaue und ihm folge. Nebenbei gesagt, wie Gnade klingen kann, haben wir in der Kantate von Max Reger immer und immer wieder von der Oboe hören können. Mit Ihr hat Reger in das Leiden auch die Gnade eingewoben, auf die wir so angewiesen sind.
Die Gemeinschaft mit Jesus geschieht nicht im Verrat, nicht in der Überheblichkeit, der Superbia, die die Haltung eines Menschen spiegelt, der sich für wertvoller und besser oder auch frömmer hält als andere Menschen. Die Superbia, der Hochmut ist die Eigenschaft, die gerne im Deckmantel der Demut daherkommt. Für Augustinus ist der Hochmut der Ursprung aller Sünde und das verwerflichste aller Laster.
Schaue ich aber zu Jesus am Kreuz hinauf, so wie wir das hier in unserer Johanneskirche tun können, begebe ich mich in die Position der Demut und erkenne, was Demut wirklich bedeutet. Und so geschieht die Gemeinschaft in Jesus in der aufschauenden Demut. Wir sind verbunden im und durch das Leiden Jesu, das wir ihm angetan haben. Wir sind eine Gemeinschaft der Sünderinnen und Sünder, denn wer unter uns glaubt, ohne Sünde zu sein, der werfe ruhig den ersten Stein, am Ende wird er über diesen stolpern.
Die Gemeinschaft in Jesus ist eine Gemeinschaft in der Nachfolge, die aus dem Leiden Jesu gelernt hat, die keinem anderen Leiden zufügen will und das Leiden aus dieser Welt verbannen will.
Und wer das vergessen hat oder haben sollte, der kann jederzeit sich unter dieses Kreuz knien, zu Jesus hinaufschauen und sich daran erinnern, was Jesus für ihn, für jede und jeden unter uns auf sich genommen hat:
Erscheine mir zum Schilde,
zum Trost in meinem Tod,
und lass mich sehn dein Bilde
in deiner Kreuzesnot.
Da will ich nach dir blicken,
da will ich glaubensvoll
dich fest an mein Herz drücken.
Wer so stirbt,
der stirbt wohl.
Amen.
Pfarrer Martin Dubberke, Predigt am Karfreitag, 29. März 2024, über "O Haupt voll Blut und Wunden", in der Johanneskirche zu Partenkirchen
Pfarrer Martin Dubberke | Bild: Johannes Dubberke (https://johannes.pictures)
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