Liebe Geschwister, wir leben in einem reichen Land, das über viele Jahre gute Ernten hatte. Wir leben in einem Land, in dem Landwirtschaft, Industrie und Wirtschaft stets reiche Ernten eingefahren hat. Wir leben in einem Land, in dem auch heute im Grunde genommen niemand hungern muss.
Wir leben aber auch in einem Land und in einer Zeit, in der wir an allen Ecken und Ende die Folgen geistlicher Armut spüren.
Wir feiern heute Erntedank und bei uns in Partenkirchen feiern wir heute auch die Jubelkonfirmation. Wir haben unter uns auch Menschen, die vor siebzig Jahren konfirmiert worden sind. Das war 1953. Der Krieg, der von unserem Land ausgegangen ist und unser Land vernichtet hatte, war gerade mal acht Jahre her. Das Wirtschaftswunder blühte, gab Zuversicht und Kraft. Es war eine Zeit des Aufbruchs. Es war die Zeit, als die Erfahrung, dass das Leben nicht selbstverständlich ist, dass das Sattsein nicht selbstverständlich ist, noch jedem Menschen im wahrsten Sinne des Wortes in den Knochen saß. Man hatte die Zeit der großen Not noch nicht vergessen und war dankbar für das Leben und das, was man nun alles wieder hatte und in den Geschäften mit der neuen Währung, der D-Mark kaufen konnte.
Doch je mehr Jahre ins Land zogen, auch wenn sie immer wieder von Krisen durchzogen waren, wie dem Aufstand vom 17. Juni 1953 in der DDR, der Kubakrise, der Niederschlagung des Prager Auf-stands, des Koreakriegs und des Vietnamkriegs, der Ölkrise, der Bankenkrise und auch der Flüchtlingskrise von 2015, desto mehr man sich an den Wohlstand gewöhnte, umso mehr zog die Selbstverständlichkeit der Allverfügbarkeit aller Güter in die Herzen und Sinne der Menschen ein. Die Selbstverständlichkeit, die uns alle besonders verwundbar und verletzlich macht.
1953 sahen die Geschenke zur Konfirmation noch anders aus als heute. So erzählte mir heute ein Jubelkonfirmandin, dass Sie zur Konfirmation ihre Aussteuer bekam. Als ich vor 43 Jahren konfirmiert wurde, haben viele meiner Mitkonfirmanden ausgerechnet, wie viel tausend Mark sie wohl zusammenbekämen. Und für manchen standen mehr die Geschenke als der Glaube im Mittelpunkt.
Liebe Geschwister, bitte denkt jetzt nicht, dass der Dubberke nun auch mit fast sechzig Jahren in dem Alter angekommen ist, wo er denkt und sagt, dass früher alles besser gewesen ist. Nein, warum sollte ich? Aber ich glaube, dass früher die Selbstverständlichkeit eine geringere Rolle gespielt hat, was Frieden, was Freiheit, was Auskömmlichkeit betroffen hat. Ich glaube, dass das Leben von Werten eine gewisse Selbstverständlichkeit gehabt hat. Ich glaube, dass früher nicht das passiert wäre, was meine Frau und ich gestern in der Fußgängerzone unseres Ortes erlebt haben, als wir das Café verließen. Ihr wisst ja, dass dort Fahrradfahren verboten ist. Meine Frau geht gerade mit zwei Gehhilfen und zwei junge Männer rasten mit ihren Kampfrädern – gewissermaßen SUVs auf zwei Rädern – auf uns zu und statt abzubremsen, quetschte sich der eine zwischen meiner Frau und mir hindurch, so dicht, dass ihn die Berührung mit mir fast zu Fall gebracht hätte, worüber er sich dann noch abfällig aufgeregt hat. Es ist das, was ich meine. Die Rücksichtnahme aufeinander hat ihre Selbstverständlichkeit verloren. Oder denken wir nur daran, wenn wir in Garmisch aus der Regionalbahn aussteigen wollen und es nicht können, weil der Egoismus so selbstverständlich geworden ist, dass die Menschen nicht mehr aussteigen lassen, sondern sich im Kampf um den besten Sitzplatz sich den Aussteigenden entgegendrängen. Wir erleben in solchen Momenten, wie selbstverständlich der Egoismus in unserer Zeit geworden ist.
Wie wirkt in diese Zeit hineingesprochen das Wort Gottes, das er zum reichen Kornbauern gesprochen hat?
Aber Gott sprach zu ihm: Du Narr! Diese Nacht wird man deine Seele von dir fordern... So geht es dem, der sich Schätze sammelt und ist nicht reich bei Gott.
Lukas 12, 20-21
Heute sitzen hier im Gottesdienst in unserer Johanneskirche rund zwanzig Jubelkonfirmandinnen und Konfirmanden, deren Glaube vor Jahrzehnten durch den Konfirmandenunterricht und die Konfirmation gefestigt wurden, die bis heute ihren Glauben leben und ihren Glauben, unseren Glauben, als wesentlichen Teil ihres Lebens verstehen. Die gewissermaßen reich bei Gott geworden sind. Ich glaube, dass Ihr alle eine reiche Glaubensernte in Eurem Leben eingefahren habt. Und wer reiche Glaubensernte einfährt, darf seine Ernte auch mit anderen teilen.
Die Geschichte vom reichen Kornbauern ist ja die der Selbstverständlichkeit, dass alles so gut weiter-läuft, dass die Ernten so reich bleiben, dass ich mir große Scheunen bauen kann, in denen ich all meine Ernten und Güter sammeln kann, um auf Jahre hin einen Vorrat zu haben, so dass ich einfach meine Ruhe haben kann. So wie wir in unserem Land durch unseren Wohlstand Ruhe haben wollten und auch lange hatten, bis wir am 24. Februar 2022 durch den Krieg, der nicht in unserem Land stattfindet, mit einem Male aus dieser Selbstverständlichkeit und Bequemlichkeit des Wohlstands aufgerüttelt wurden.
Plötzlich wurde die Ernte zu einer Waffe. Felder und Ernten wurden vernichtet. Es wurde um ein Weizenabkommen gerungen, das mittlerweile wieder Makulatur ist. Dass Ernte nicht selbstverständlich ist, macht der Wochenspruch deutlich:
Aller Augen warten auf dich, und du gibst ihnen ihre Speise zur rechten Zeit.
Psalm 145,15
Hätten wir in unserem Leben – auch in unserem politischen und wirtschaftlichen Leben – mehr die Rechnung mit Gott gemacht, sähe die Welt heute vielleicht anders aus. Aber wir wollten, wie die beiden Jugendlichen gestern in der Fußgängerzone, den bequemen, schnellen Weg durch die Mitte hindurch ohne Rücksicht auf Verluste. Und was war die Konsequenz?
Gott sprach zu uns: Ihr Narren!
Es ist nicht Gott, der uns zum Narren hält, sondern wir selbst, weil diese Welt und diese Zeit reich an Gütern statt reich an Gott sein will.
Die Geschichte vom reichen Kornbauern macht deutlich, dass wir uns nicht auf der Ernte ausruhen dürfen, sondern immer wieder auf das Feld hinausmüssen, es wässern und düngen müssen, es pflegen und hegen müssen, um eine gute Ernte einbringen zu können.
Ein gutes Leben macht Arbeit. Ein gutes Leben kommt nicht von allein. Ein gutes Leben ist ein Leben, in dem Gott eine zentrale Rolle spielt, Gott und sein Wort. Daran erinnert uns auch der Monatsspruch:
Seid Täter des Wortes und nicht Hörer allein; sonst betrügt ihr euch selbst.
Jakobus 1,22
Es geht darum, nicht nur das Wort Gottes zu hören, sondern in erster Linie darum, das Wort Gottes zu tun. Alles andere wäre Selbstbetrug. Und die einzelnen Konfirmationssprüche, sind z.B. solche Worte, die über unserem Leben stehen, die wir leben, die uns prägen, die uns ausmachen.
So wie mich auch mein Konfirmationsspruch in meinem Leben geprägt und begleitet hat und noch immer begleitet:
Der Herr ist mein Fels, meine Burg und mein Erretter.
Samuel 2,22
Dieser Vers ist Glaubenserfahrung und Glaubens-bekenntnis in einem. Und meine Glaubenserfahrung ist meine ganz persönliche Ernte, die ich gerne und mit Freude mit anderen, mit Euch teile. Und das Glaubensbekenntnis ist das, was uns miteinander in allen Zeiten verbindet. Das Glaubensbekenntnis erwartet von uns auch die Glaubenstat. Und das bedeutet:
Seid Täter des Wortes und nicht Hörer allein; sonst betrügt ihr euch selbst.
Jakobus 1,22
Amen.
Pfarrer Martin Dubberke, Predigt am Erntedank-Sonntag 1. Oktober 2023 mit Jubelkonfirmation in der Johanneskirche zu Partenkirchen über Lukas 12,15-21, Perikopenreihe V
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