ANgeDACHT - Was Vergebung (nicht) ist

Pfarrerin Birgit Schiel
Bildrechte Pfarrerin Birgit Schiel

Auf einen anderen wütend sein, ist wie selber Gift schlucken und erwarten, dass der andere tot umfällt. Nachtragend sein, heißt, ich trage jemandem meine Verletzung hinterher wie einen Koffer voll Steine, die ich werfen will. Aber wer trägt hier die Last, beim nach-tragen?

Wut und Groll, das sind normale Reaktionen auf unnormale, verletzende Beziehungsgestaltungen. Was Teil des Menschseins ist. Sieht man in die Nachrichten, denkt man, das verletzende Beziehungsgestaltung normal ist.

Aber nicht für die Seele. Statt dass wir von Mensch zu Mensch einander begegnen, wird unser Alltag oft durch Täter-Opfer-Beziehungen geprägt, bewusst und unbewusst. Und wir sind immer beides. Wer selbst Opfer war an einem Punkt seines Lebens, wird in anderen Umständen leicht zum Täter.  Die Rolle wird auf einmal getauscht, schneller, als man sich das selbst eingestehen will. Doch was wir anderen zufügen, fällt auf uns zurück in irgendeiner Form. Verletzungen in einer Beziehung sind Bindungen, wie Seile, die uns an die Verletzung und den Täter binden, uns fesseln. Jesu Bitte im aramäischen Vaterunser lautet: „Löse die Fesseln unserer Fehler, wie auch wir die Seile lösen, die wir festhalten wegen der Schuld der anderen“ Jesus Auftrag an alle Christen lautet: Vergebt einander, lasst die Seile los, die euch an die Wunde binden. Übernehmt Verantwortung dafür, dass ihr heilen könnt. Gebt die Verantwortung für Sünden an die zurück, die sie begangen haben. Lasst den Koffer voll Steine los, den ihr anderen hinterhertragt, legt ab die Lasten der Nicht-Vergebung und startet Beziehung neu. Seid wieder Ebenbilder Gottes, begegnet einander Mensch zu Mensch, nicht als Opfer oder Täter.

Vergebung heißt NICHT, dass ich vergesse oder toleriere, was geschehen ist. Vergebung heißt auch nicht, dass ich wieder eine Beziehung zum Täter aufbauen muss. Auch nicht, dass der Täter die Konsequenzen nicht zu tragen hätte und v.a. heißt es nicht, dass ich kein Recht habe, Koffer voller Steine werfen zu wollen. Wer verletzt wurde, hat ein Recht auf seine Wut und seinen Groll und alle sonstigen Gefühle. Und sollte dies, in aller Barmherzigkeit mit sich selbst, auch anerkennen und zulassen. Aber das gibt niemandem das Recht, an anderen wiederum zum Täter zu werden. Denn wer von uns ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein. Und trage die Verantwortung dafür.

Ihre Pfarrerin Birgit Schiel

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