Ich erinnere mich an einen Einsatz aus meiner Zeit als Notfallseelsorgerin:
Es ist mitten in der Nacht, als der laute Alarm losgeht. Ein Brand auf einem Bauernhof. Niemand ist verletzt, aber die Rinder im Stall sind tot. Ich frage mich durch beim Einsatzleiter, bis ich zu den Hofbesitzern komme. Die Familie ist in der Küche. Einer Mann sitzt ganz ruhig da, sagt kaum einen Ton. Eine Frau zittert, weint, klagt laut. Ein weiterer rennt auf und ab, schimpft.
Normale Reaktionen auf eine unnormale Situation. Ich finde nicht, dass die Menschen depressiv, instabil, oder psychologisch auffällig sind. So ist das nun mal, wenn man auf eine Situation trifft, auf die man nicht vorbereitet ist und die man erst mal nicht gleich bewältigen kann. Die Seele sucht sich Wege, sich zu schützen. Durch Abschottung, Emotionen rauslassen, sich körperlich abreagieren, was auch immer.
Ich gehe heute in die Schule. Meine Schüler sind in den letzten Wochen von Digitalunterricht, zu halben Klassen in der Schule zu vollen Klassen und dann wieder zu halben Klassen herumgejagt worden. Traurige Augen sehen mich an, wütende Augen, ängstliche Augen.
Ich mache das, was ich als Seelsorgerin mache in Krisensituationen: Ich nehme mir Zeit, lasse alles da sein, was da ist. Lasse erzählen, höre zu. Versuche Unterricht zu machen. Als ob alles normal wäre. Ist es aber nicht. Funktionieren soll alles, als ob alles normal wäre. Was für eine unnormale Forderung.
Ich will nicht Normalität zurück. Ich will Echtheit. Und „echt“ im Moment bedeutet nun mal, dass wir in einer unnormalen Situation nicht normal reagieren müssen.
Ich bete zu Gott. Ihm darf ich erzählen, er hört zu, lässt alles da sein, was da ist. Ein neuer Tag beginnt in einer unnormalen Situation.
Aber wenigstens bin ich nicht normal. Ich bin echt. Und nicht allein damit. Gott sei Dank!
Ihre (gerne) unnormale Pfarrerin Birgit Schiel
Nicht alle Menschen in unserer Gemeinde haben Internet. Wir legen daher in unseren Kirchen ausgedruckte Exemplare aus und falls Sie es einem Nachbarn oder einer Nachbarin mit einem kleinen Gruß in den Briefkasten stecken möchten, können Sie den Handzettel gerne als PDF herunterladen, ausdrucken und weitergeben oder aushängen.