Noah, Abraham, Isaak und Jakob, Josef …. Das Alte Testament ist voll von „Loslass-Geschichten“: Noah muss alles zurücklassen und in die Arche. Abraham wird von Gott aus Haran weggeschickt, Jakob flieht vor seinem Bruder zu seinem Onkel, Isaak zieht wegen einer Hungersnot nach Gerar und Josef wird nach Ägypten verschleppt. Keiner von ihnen macht sich freiwillig auf den Weg. Aber ohne Abschied kein Neuanfang: Auf dieser Welt gibt es nichts, was wir behalten können. „Wir haben hier keine bleibende Stadt“ (Hebräerbrief 13,14) Doch Abschied nehmen, aufbrechen ins Unbekannte fällt immer schwer, genauso wie den Menschen der Bibel: Auch Mose möchte lieber bei seinen Herden in Midian bleiben, anstatt als Held sein Volk aus Ägypten zu führen. Auch das gerettete Volk Israel ist völlig überfordert, als es sich plötzlich in der Wüste wiederfindet. Im 2.Buch Mose, 16 jammern sie: „Wären wir doch durch die Hand des HERRN im Land Ägypten gestorben, als wir bei den Fleischtöpfen saßen, als wir Brot aßen bis zur Sättigung! Denn ihr habt uns in diese Wüste herausgeführt, um diese ganze Versammlung an Hunger sterben zu lassen.“
Das Vergangene wird verklärt und die Veränderung, wegen der wir ja schließlich aufgebrochen sind, die haben wir uns auch anders vorgestellt. „Wenn wir das gewusst hätten…“
Aber auch diese Vorstellungen müssen wir – ob wir wollen oder nicht „loslassen“.
Für die Israeliten damals wie für uns gilt: Wir sind nun mal genau da, wo wir eben gerade sind. Auch wenn es wehtut. Wir können weder in der Vergangenheit noch im Konjunktiv leben. Ich bin nicht mehr oder noch nicht da, wo ich gerne wäre. Aber wie kann ich genau jetzt – im übertragenen Sinne – meinen Hunger stillen? Wie kann ich meinem „Jetzt“ begegnen und es so annehmen, dass daraus ein gutes Morgen wird?
In der lebensbedrohlichen Wüsten- Situation müssen sich die Israeliten entscheiden, diese Situation als gottgegeben hinzunehmen. Sie befinden sich in einer von Gott initiierten Veränderung. Er hat sie aus Ägypten geführt, um sie ins gelobte Land zu bringen. Warum geht es ihnen dann so schlecht?
Auch wir dürfen wissen, wenn wir in Veränderungsprozessen drinstecken: Wenn es schlecht läuft und wir in einer metaphorischen Wüste stehen, heißt das noch lange nicht, dass wir auf dem falschen Weg sind und Gott unterwegs verloren haben. Im Gegenteil: Selbst der Weg ins gelobte Land kann gepflastert sein mit Unsicherheit und Mangelerscheinungen.
Loslassen braucht Vertrauen
Wenn ich den Schritt in die Wüste gehe (oder in sie hineingeworfen werde), muss ich darauf vertrauen, dass Gott es gut mit mir meint und weiß, wo ich hingehöre. Er will mich nicht in die Versklavung, sondern in die Befreiung – mein persönliches gelobtes Land – führen. Er wird mich auf dem Weg durch die Wüste mit dem Wichtigsten versorgen, damit ich nicht zwischendurch verhungere. Den Israeliten fällt es schwer, darauf zu vertrauen, obwohl sie es eigentlich besser wissen müssten. Als Gott ihnen Manna und Wachteln als Nahrung zusichert, hängt er das an eine simple Bedingung:
Sie sollen nur so viel einsammeln, wie sie für genau einen Tag brauchen.
Für ein hungerndes Volk, das sich nach Sicherheit sehnt, ist das zu viel verlangt. Natürlich sammeln sie mehr ein, um sich für die Zukunft abzusichern. Die Ungewissheit ist schwer auszuhalten. Wie oft hindert uns die Angst daran, Veränderungsprozesse anzugehen und sie aktiv zu gestalten: Was, wenn es schiefgeht? Was, wenn ich nicht genug haben werde? Wo soll ich wohnen, was soll ich essen, werde ich Freunde haben und überhaupt….
Gott verspricht uns zwar an vielen Stellen, dass er uns mit allem versorgen wird, was wir brauchen (die wohl bekannteste Stelle: Matthäus 6,26–34, die Geschichte von den Lilien auf dem Felde), er verspricht aber nirgendwo, dass wir seine Versorgung im Voraus bekommen. Er gibt uns genau so viel, wie wir jetzt brauchen. Das erfordert viel Mut und ein Loslassen des eigenen Sicherheitsbedürfnisses. In der Veränderung sind wir zu 100 Prozent auf Gott geworfen und nicht mehr auf uns selbst.
Das Falsche festzuhalten, führt zum Verfaulen
Was mit dem Manna passiert, als die Israeliten versuchen, es festzuhalten, ist symptomatisch: Es bekommt Würmer und wird faul. Sie wollen etwas festhalten, das nur für den einen Tag, für den sofortigen Verbrauch gemacht ist. Wir können an vielen Stellen beobachten, was passiert, wenn man festhält, was nur für den Augenblick gemacht ist: Die Dinge werden schal und manchmal auch richtig faul: Promis, die ihr eigenes Älterwerden nicht akzeptieren wollen und durch Botox & Co. wie eine verzerrte Karikatur ihrer selbst aussehen, Traditionen, die längst sinnentleert nur noch krampfhafte Wiederholungen sind und völlig aus der Zeit gefallen scheinen.
„Alles hat seine Zeit“, mahnt der Prediger. Im Fluss des Lebens, im Laufe des Lebens muss ich immer wieder Dinge oder auch Verhaltensweisen loslassen. Nicht weil sie grundsätzlich schlecht sind, sondern weil sie jetzt nicht mehr passen. Ich muss das Vergangene nicht verurteilen oder per se für schlecht erklären. Mit Dankbarkeit die Hand öffnen und loslassen. Auch wenn das manchmal richtig schwer ist. Es wird wahrscheinlich immer wehtun, wenn die Dinge vorüberziehen, wenn etwas zu Ende geht. Aber die Neuausrichtung, das Loslassen kann zu einem Akt der Befreiung werden, weil ich mich unbelastet dem Neuen zuwenden kann. Nur so kann ich neue Lösungen für neue Probleme finden, die es so noch nie gab.
Und wenn es schwierig wird: denken wir an die Wachteln und das Manna!