Und er sprach zu ihnen: „Kommt, folgt mir nach! Ich will euch zu Menschenfischern machen.“ Sogleich verließen sie ihre Netze und folgten ihm nach.
Matthäus 4, 19f
So war das mit den ersten Jüngern. Sie waren Fischer am Galiläischen Meer, lebten ihren Beruf und ihr Leben. Genau das war ihr Lebensplan: Gute und erfolgreiche Fischer zu sein. Doch dann kam Jesus und sagte: „Folgt mir!“ Und sogleich ließen sie alles stehen und liegen und folgten ihm nach.
Ich hatte auch so einen Plan in meinem Leben. Nach meiner Konfirmation wurde mir ziemlich schnell klar, dass ich doch nicht Schauspieler, sondern Pfarrer werden wollte. Mein Vater war glücklich, endlich ein Beruf, vor dem er mich nicht bewahren wollte, auch wenn er selbst Atheist war. Er war glücklich, sein Sohn hatte sich für ein anständiges Studium entschieden. Dabei war der spätere Beruf fast nebensächlich. Mein Religionslehrer hatte also Recht mit seiner Prophezeiung, dass ich Pfarrer werden würde.
Und so ging ich das Lebensprojekt Pfarrer zielstrebig an. Holte mir eine Eins für das große Latinum, überredete meine Lateinlehrerin, eine Griechisch-AG anzubieten und machte schließlich mein Abitur.
Immatrikuliert wurde ich ganz symbolisch an meinem zwanzigsten Tauftag. Beim Aufnahmegespräch auf die Landesliste der Berliner Theologiestudenten – ja so hieß das damals noch – fragte mich der Referent unseres Bischofs, ob ich mir das auch alles gut überlegt hätte, denn wenn ich fertig wäre, würde man uns nicht mehr brauchen. Das war 1985. Ich blieb standhaft, denn ich wollte unbedingt Pfarrer werden. Das war mein fester Wille und Entschluss. So ging ich mein Theologiestudium an und stellte ganz schnell fest, dass das alles nicht so viel mit Glauben und Spiritualität zu tun hatte, sondern mit dem Reden darüber, statt dem Erleben. Es begann eine spannende Reise durch die Theologie, das Alte, das Neue Testament, die Sprachen, die Systematische Theologie, die Praktische Theologie, die sehr theoretisch war und vieles andere mehr. Ich tauchte mehr und mehr in eine Welt ein, die mich bis heute nicht losgelassen hat.
Dann kam das Erste Examen und damit das Vikariat. Endlich ging es in die Praxis. Das Pfarramt kam in greifbare Nähe. Und mit einem Mal traf genau das ein, was der Referent des Bischofs einst prophezeit hatte: Man brauchte uns nicht. Von 21 Vikarinnen und Vikaren kamen nur sechs in den Entsendungsdienst. Tja, und so ging es damals für mich in die Arbeitslosigkeit.
Ich hatte damals Glück und wurde nach einem halben Jahr Leiter einer Männerberatungsstelle der freien Wohlfahrtspflege. Wenig später wurde ich ins Amt des Landesbeauftragten für Arbeit mit Männern der Evangelischen Kirche in Berlin und Brandenburg gewählt – ein Ehrenamt. Ich bekam einen Predigtauftrag in meiner alten Vikariatsgemeinde – ein Ehrenamt. Irgendwann machte ich noch einmal einen Anlauf auf das Pfarramt und scheiterte.
Ich glaube, das war einer der wichtigsten Momente meines Lebens. Weil ich mich in diesem Augenblick der größten Kränkung fragte, was hat Gott mit mir vor? Und so ließ ich meinem Lebensplan los und vertraute mich ganz der Führung Gottes an, ganz so, wie es in einem meiner Lieblingslieder heißt: Wer nur den lieben Gott lässt walten. Ich wusste nur eines – irgendwann würde ich Pfarrer werden. Und ganz ehrlich? Ich war der Einzige, der das glaubte. Alle anderen hielten mich für einen Narren.
Und mit einem Male kam mein Leben in Bewegung. Ein christlicher Radiosender bot mir einen Job an. Dieser Job führte dazu, dass ich einer Frau begegnete. Zwischen uns beiden funkte es. Mittlerweile sind wir sechzehn Jahre miteinander verheiratet und haben zwei ebenso alte Söhne. Gottes Wege sind einfach wunderbar, wenn man sich auf sie einlässt.
Irgendwann klingelte das Telefon und ich wechselte zu einem großen diakonischen Träger in eine Führungsposition. Die nun folgende Dekade prägte mich mehr sehr und ließ mich auch als Theologen noch einmal reifen. Und wieder kam ein neues Ehrenamt hinzu: Geschäftsführer der Erinnerungs- und Begegnungsstätte Bonhoeffer-Haus in Berlin, das Haus, in dem Dietrich Bonhoeffer gelebt hat und verhaftet wurde.
Und mit einem Male öffnete sich wieder eine Tür. Es gab ein neues Gesetz in meiner alten Landeskirche. Dieses Gesetz betraf auch mich, weil es meinem Predigtbeauftrag nach mehr als zwanzig Jahren die Grundlage entzog. Ich stand im Gespräch mit meiner damaligen Superintendentin vor der Frage, ob mich darauf einlasse oder nicht. Und ich war bereit loszulassen. Aber in dem Moment schlug ich vor, dass es doch eine ganz einfache Lösung gäbe: Wenn meine Kirche mich ordinieren würde.
Es dauerte dann noch einmal fast zwei Jahre, bis es soweit war, bis ich in Luckau ordiniert wurde. Es war nach mehr als vierhundert Jahren der erste Ordinationsgottesdienst in dieser Kirche.
Doch war ich da schon am Ziel? Nein. Es gab noch viele wunderbare kleine Zeichen und Zufälle. Und schließlich kamen wir durch eine Anzeige im Amtsblatt auf die Idee, als Familie Kurseelsorge in Bayern zu machen. Und so war es ein Zufall, der uns nach Garmisch-Partenkirchen führte – naja, was man eben Zufall nennt. Jedenfalls erfuhr ich hier, dass Manfred Reitlinger zwei Monate später in den Ruhestand gehen würde. In dem Moment war die Idee geboren, sich auf diese Stelle zu bewerben, loszulassen von meiner alten Heimat, den Menschen und vielem, vielem anderen mehr.
Naja, das Ergebnis kennen wir. Seit drei Jahren bin ich nun Euer Pfarrer. Das ist meine Geschichte vom Loslassen und sich auf Gott einzulassen.
Pfarrer Martin Dubberke
PS
Das Bild zeigt mich 1986 als junger Theologiestudent mit meiner KiGo-Gruppe vor der Hochmeisterkirche in Berlin