In der brütenden Mittagshitze reitet ein Mann auf die Stadt zu. Der kleine Esel, auf dem er sitzt, trippelt tapfer über die vor Hitze flimmernde Straße. Nur ein paar Mantelstücke dienen als Sattel. Der Blick des Mannes ist zu Boden gesenkt, sein Gewand einfach. Ein ärmlicher, bescheidener Anblick. Weit bevor die beiden an die glänzenden Stadttore gelangen, sieht man zahlreiche Menschen am Straßenrand. Sie rufen laut, noch kann man nicht verstehen, was. Einige haben Zweige von den heiligen Palmen geschnitten und recken sie die in Luft. Es sieht aus, als ob ein wandernder Wald neben der Straße eine unruhige Rast macht. Einige haben ihre Mäntel
auf der Straße ausgebreitet. Nicht einer der Menschen hat seinen Fuß auf die Straße gesetzt. Alle drängen sie sich am Rand. Die Straße ist reserviert für den, der da
kommt. Für den König, den Herrscher, der von Gott gesandt ist. Sie warten auf den bescheidenen Mann. Sie werden ihm einen triumphalen Einzug bereiten.
Der Esel reitet zwischen den ersten Menschen hindurch. Sie breiten die Palmzweige, das Zeichen des siegreichen Königs, unter seine Füße. Wie im Rausch schreien die Menschen. Ihre Hoffnungen, ihr Sehnen nach Gerechtigkeit und Freiheit, ihre Wut über das erlittene Unrecht und Leid, brechen sich Bahn. Er muss es sein, er muss sie retten. Er muss. Wie könnte man sonst weiterleben? „Hosianna – hilf doch! Du bist König!“
Ein grüne Straße der Hoffnung, die nach Jerusalem hineinführt. Der Blick des Mannes geht weiter. Seine Augen sehen den grünen Teppich, auf dem er erwartet wird. Sie sehen weiter, bis zum Stadttor, hinter dessen Mauern er mit seiner Botschaft die Menschen gegen sich aufbringen wird. Sie sehen bis zum Schädelhügel, auf dem er sein Ende finden wird. Sie sehen bis zum Kreuz. Er kehrt nicht um, lässt den grünen Teppich der Hoffnung nicht hinter sich zurück. Er sieht weiter. Er sieht Ostern vor sich. Mit einem leichten Druck der Schenkel treibt er sein Lasttier weiter. Das treue Tier trägt ihn, hindurch zwischen den Menschen, die ihn bejubeln, vorbei an seinen Henkern, auf sein Schicksal zu.
Ihre Pfarrerin Birgit Schiel
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