ANgeDACHT - Ich kann nicht klagen

Pfarrer Martin Dubberke
Bildrechte Johannes Dubberke

Der Klassiker: Zwei Menschen begegnen einander. Fragt der eine den anderen: „Na, wie geht es Dir?“ Und der andere antwortet: „Ach, ich kann nicht klagen.“

Schon allein das „Ach“ ist doch verräterisch. Wer nicht klagen kann beginnt seinen Satz nicht mit einem „Ach!“ Und wenn er dann noch sagt, dass er nicht klagen kann, dann ist doch damit auch alles Nachfragen sinnlos, oder?

Ich persönlich sehe darin eher die Einladung, die alles entscheidende Frage zu stellen: „Ach, das freut mich. Und warum kannst Du nicht klagen?“ – Schon mal versucht, diese Frage zu stellen? Ich kann an dieser Stelle schon mal die Antwort verraten: Schweigen, Sprachlosigkeit, absolute Überraschung.

Und damit komme ich an einen ganz entscheidenden Punkt. Wir sind Weltmeister im Klagen. Ich glaube es gibt keinen anderen Flecken in unserer Welt als unser Land, wo mehr geklagt wird als hier. Wir klagen über die Werdenfelsbahn, die Tunnel, entweder, weil es sie gibt oder weil es sie noch nicht gibt. Wir klagen über die hohen Mieten, wir klagen darüber, weil so viele Menschen aus anderen Teilen der Welt bei uns sind und vergessen dabei, dass vor neunzig Jahren auch aus unserem Land Menschen in alle Welt geflohen sind, um einer unmenschlichen Diktatur und einem Krieg zu entkommen. Damals haben etwa eine halbe Million Menschen Deutschland verlassen und in anderen Ländern Aufnahme gefunden.

Kaum ein Gespräch, das ich habe, kommt ohne Klagen aus. Und ich gebe es ehrlich zu, dass auch ich mich selbst immer wieder dabei ertappe, mich insbesondere über politische Zustände zu beklagen. Manchmal habe ich das Gefühl, dass die allgemeine Lebensmaxime heißt: „Ich klage, also bin ich.“ Spüre ich mich wirklich nur noch, wenn ich klage?

Der Monatsspruch für den Oktober stammt aus dem dritten Kapitel der Klagelieder. In den Klageliedern wird die Zerstörung Jerusalems und des Tempels von 586 v. Chr. beklagt. Die Menschen haben richtig tiefes Leid erlebt und mit der Zerstörung des Tempels auch noch die Mitte Ihres Lebens verloren. Und dennoch bleibt die Klage nicht ohne Hoffnung, wie es der Monatsspruch deutlich macht:

Die Güte des HERRN ist’s, dass wir nicht gar aus sind, seine Barmherzigkeit hat noch kein Ende, sondern sie ist alle Morgen neu, und deine Treue ist groß.
Klagelieder 3,22-23

In einer solchen Situation, die Hoffnung nicht aufzugeben, sondern darauf zu vertrauen, dass Gottes Barmherzigkeit kein Ende hat, sie jeden Morgen neu ist, sollte uns heute dazu animieren, unseren Focus weniger auf die Klage, als vielmehr auf die Hoffnung zu verlegen und aus dieser Hoffnung heraus zu leben. Das verändert unsere Haltung. Das verändert unseren Umgang mit dem erlittenen Verlust. Das verändert unseren Umgang mit der Gegenwart. Das gibt uns die Stärke, diese Welt zu einer guten Welt werden zu lassen. Wer guten Mutes ist, steckt am Ende die Miesepetrigen mit seinem Mut an. Ach, Gott, wenn das kein Grund zur Freude ist, müsste ich klagen.

Euer

Pfr. Martin Dubberke

Gedanken zum Monatsspruch für den Oktober, Klagelieder 3,22-23