Hinter uns liegt eine mediale Mega-Kirchenwoche. Jeden Tag ist die Kirche in den Schlagzeilen, seitdem Papst Franziskus gestorben ist und sich nun alle Augen auf Rom richten. Die Menschen schauen darauf, was dieser Papst bewegt hat und was er nicht bewegt hat. Als ich nach einer Beerdigung in dieser Woche noch mit dem Bestatter und dem Friedhofsgärtner zusammenstand und wir uns unterhielten, sagte der Gärtner, dass ihm gar nicht bewusst gewesen sei, wie sehr dieser Papst die Kirche verändert habe. Und ich musste ihm beipflichten. Auch mir ging es so, dass ich erst jetzt zur Kenntnis genommen habe, was dieser Papst meist ohne öffentliches Aufsehen verändert hat. So könnte heute z.B. auch eine Frau das Dikasterium für die Glaubenslehre – die 1542 einst als Congregatio Romanae et universalis Inquisitiones gegründet wurde – leiten. Es war eine Woche, in der viele Menschen öffentlich über ihren Glauben gesprochen haben und auch Hoffnungen und Erwartungen an die Kirchen zum Ausdruck gebracht haben.
Auch die neue Bundestagspräsidentin Claudia Klöckner, die selbst katholische Theologin ist, hat ihre Erwartungen an Kirche zum Ausdruck gebracht. In der Bild am Sonntag antwortete sie auf die Frage nach ihrer ganz persönlichen Meinung, warum Menschen aus der Kirche austreten: „Wenn Kirche manchmal zu beliebig wird, oder zu tagesaktuellen Themen Stellungnahmen abgibt wie eine NGO* und nicht mehr die grundsätzlichen Fragen von Leben und Tod im Blick hat, dann wird sie leider austauschbar… ich glaube, von Kirche erwartet man sich diese sinnhafte Begleitung, diese Antwort auf Fragen, die ich in meinem Alltag habe, vielleicht auch Trost und Stabilität.“
In der Tat stellt sich die Frage nach dem Verhältnis von Kirche und Politik immer wieder neu. Braucht die Politik die Kirche immer nur dann, wenn sie ihr dient? Ich denke hier z.B. an Unglücke von nationaler Bedeutung. Das sind die Momente, wo Politik dann gerne in der ersten Reihe der Kirche sitzt, statt demutsvoll in der letzten Reihe.
Doch wenn sich Kirche politisch einmischt, braucht Politik plötzlich die Kirche nicht. Wobei! Es gibt natürlich immer Parteien, die das begrüßen, wenn es ihre eigene politische Linie unterstützt. Erinnert sei hier an das Zustrombegrenzungsgesetz, als die Parteien, die keine kirchlichen Vertreter bei der Frage des § 218 dabeihaben wollten, nun mit einem Male begrüßten, was die Bevollmächtigten der beiden Kirchen bei der Bundesrepublik als Brandbrief an die Abgeordneten geschickt hatten.
Claudia Klöckner bringt allerdings ein Verständnis von Kirche zum Ausdruck, das von einem Hauch politischer Zensur umweht ist. Ich gebe Frau Klöckner durchaus Recht: Die Kirche hat sich in der Tat nicht parteipolitisch zu äußern, weil das zu einer Spaltung in unserer Gesellschaft und auch unter den Gläubigen beiträgt. Im Mittelpunkt aller Argumentation muss das Bekenntnis stehen, denn das Bekenntnis ist das Verbindende. Und natürlich haben der Glaube und damit auch das Evangelium eine politische Dimension, die sich im Predigen und im kirchlichen Leben Bahn bricht. Und damit bin ich dann mit einem Male wieder bei dem, was Frau Klöckner von Kirche erwartet, die sinnhafte Begleitung bei Fragen, die ich in meinem Alltag habe und vielleicht auch Trost und Stabilität. Das Evangelium spendet Trost und Stabilität gerade in solchen Zeiten, in denen Politik so sehr in unseren Alltag eingreift, uns enttäuscht, frustriert, seelische Kraft kostet und an unsere Existenz geht.
Wenn Kirche in ihren Äußerungen aber nicht mehr von Parteien und NGOs zu unterscheiden ist, stellt sich die Bekenntnisfrage, nämlich die, warum wir das machen, was wir machen. Als ich kürzlich jemanden fragte, was seine Motivation sei, Umweltarbeit unter dem Dach der Kirche zu machen, lautete die Antwort, dass er die Umwelt retten wolle. Das ist richtig, könnte aber genauso gut auch von den Grünen oder einer Umweltvereinigung kommen. Ich sagte daraufhin, dass Umweltarbeit für mich Umkehrarbeit sei. Gott hat uns einst eine vollkommene Welt anvertraut, doch wir haben in unserem Egoismus, mit unserer Unersättlichkeit und Gottvergessenheit, diese Schöpfung in Gefahr gebracht, weil wir uns nicht an die Spielregeln Gottes halten. Und deshalb ginge es um Beichte, Buße, Umkehr, darum eines neuen Sinnes zu werden. Und genau das macht aus meiner Sicht den Unterschied. Wir verleugnen gewissermaßen unsere Kernkompetenz. Der Journalist und bekennende Katholik Carl-Victor Wachs – Jahrgang 1991 – bringt es an diesem Donnerstag in seinem Kommentar über den geistlichen Irrweg der Kirchen in der Welt auf den Punkt, wenn er schreibt: „Vielleicht sollte die Kirche sich wieder erinnern, worin ihre Kraft liegt: im Bekenntnis – nicht zur Welt, sondern zu Gott.“ Und was soll ich sagen? Recht hat er.
Ich wünsche Euch von Herzen eine gesegnete Woche
Euer Pfarrer Martin Dubberke
*NGO = Nicht-Regierungsorganisation