Sollt ich meinem Gott nicht singen?

Pfr. Martin Dubberke
Bildrechte Johannes Dubberke

Liebe Geschwister, seit einem Jahr wandeln wir durch eine seltsame Zeit, ein dunkles Tal und fragen uns vielleicht so manches Mal: „Mein Gott, warum hast du uns verlassen?“

Seit einem Jahr ist unser Leben anders, anders als wir es uns je in unserem Leben gedacht hätten.  Es gibt niemanden unter uns, an dem all das keine Spuren hinterlassen hat, Spuren im Leben und Spuren auf der Seele.

Verlassenheit und Einsamkeit haben einen Namen bekommen und auch die Angst.

Wir trauern um unser altes Leben und ahnen, dass es wohl nie wieder so werden wird, wird, wie es einmal war.

Seit einem Jahr erleben wir ein anderes Leben. Wir trauern nicht nur um unser altes Leben, wir trauern vor allem um Menschen, die uns nahegestanden haben und durch die Pandemie aus dem Leben gerissen worden sind.

Wir trauern um den Verlust der Selbstverständlichkeit und spüren, dass Hoffnung ein schönes, aber auch anstrengendes Wort ist.

Kein Mensch, der nicht schon mal in Quarantäne gewesen ist oder, der jemanden kennt, der in Quarantäne gewesen ist, kein Mensch, der nicht jemanden kennt, der Corona hatte oder gar daran gestorben ist. Corona hat eine große, breite Spur an Opfern hinterlassen, an Menschen, die daran gestorben sind, an Menschen, die sich in ihrer Not das Leben genommen haben, an Betriebe, Unternehmen, Geschäfte, Existenzen, die Corona zerstört hat, weil die Perspektive, das Geld, die Luft ausgegangen ist.

Über 78.000 Menschen sind in unserem Land an einer Corona-Infektion gestorben. Allein hier bei uns im Landkreis sind bislang 3540 Menschen daran erkrankt und 102 Menschen daran gestorben. „Das Leid der Sterbenden, aber auch die Trauer und der Schmerz von Angehörigen und Freunden ist unvorstellbar.“ (EKHN, 2021)

Wir machen Beerdigungen im kleinsten Kreis und wir machen Konfirmationmarathons. Wir singen nicht mehr. „Wo man singt, da lass dich ruhig nieder, böse Menschen kennen keine Lieder.“ Wir kennen so viele Lieder und könnten, ja müssten eigentlich so viele Lieder singen, aber wie, wenn die Aerosole zu einer tödlichen Waffe geworden sind.

Dabei gäbe es so wunderbare Lieder, die uns gerade jetzt Trost spenden können, so, wie das Lied 325, das wir am Ende dieses Gottesdienstes hören werden:

Sollt ich meinem Gott nicht singen

1) Soll ich meinem Gott nicht singen?
Sollt ich ihm nicht dankbar sein?
Denn ich seh in allen Dingen,
wie so gut er’s mit mir mein´.
Ist doch nichts als lauter Lieben,
das sein treues Herze regt,
das ohn Ende hebt und trägt,
die in seinem Dienst sich üben.
Alles Ding währt seine Zeit,
Gottes Lieb in Ewigkeit.

2) Wie ein Adler sein Gefieder
über seine Jungen streckt,
also hat auch hin und wieder
mich des Höchsten Arm bedeckt,
alsobald im Mutterleibe,
da er mir mein Wesen gab
und das Leben, das ich hab
und noch diese Stunde treibe.
Alles Ding währt seine Zeit,
Gottes Lieb in Ewigkeit.

Dieses Lied hat Paul Gerhardt 1653 gedichtet. Das war fünf Jahre nach dem Ende der Schrecken des Dreißigjährigen Krieges, den Paul Gerhardt überlebt hatte. Der Berliner Pfarrer Paul Gerhardt hatte vier seiner fünf Kinder früh zu Grabe tragen müssen und auch seine Frau in jungen Jahren an den Tod verloren. All das wissend, bekomme ich Gänsehaut bei seinen Zeilen, weil ein so tiefer, lebensbejahender Glaube aus jedem Wort dieses Liedes spricht.

Seit einem Jahr zeigt uns diese Pandemie unsere Grenzen auf. Seit einem Jahr fordert uns diese Pandemie zu Einigkeit im Handeln auf, und zwar global, so weltumspannend wie Gott diese Welt nun einmal geschaffen hat. Seit einem Jahr zeigt uns diese Pandemie, wie sehr wir alle in dieser Welt zusammengehören und voneinander abhängig sind. Seit einem Jahr zeigt uns diese Pandemie aber auch die Arroganz, den Egoismus, die Kaltblütigkeit zur Selbstbereicherung in dieser Welt auf. Seit einem Jahr schreibt uns diese Pandemie laut und unüberhörbar an, dass wir umkehren müssen, dass wir anders leben müssen, wenn wir auf Dauer unser Leben, unsere Existenz behalten wollen.

Dietrich Bonhoeffer schreibt in seiner Ethik:

Gott will das Leben und er gibt dem Leben eine Gestalt, in der es leben kann, weil es sich selbst überlassen sich nur vernichten kann. Diese Gestalt stellt das Leben aber zugleich in den Dienst anderen Lebens und der Welt.“ (Bonhoeffer, 1998, S. 171)

Seit einem Jahr konfrontiert uns diese Pandemie mit immer härteren Argumenten, dass es nicht mehr so weitergehen darf, wie es einmal war und, dass es nie wieder so sein wird, wie es einmal war, dass wir unser Leben ändern müssen, wenn diese Pandemie unser Leben nicht weiter diktieren soll.

Doch wer ändert sich schon gerne? Und so sind wir wie die Israeliten in der Wüste zu einem Volk der Murrenden geworden. Auch der Zug durch die Wüste war eine Herausforderung, bei der Menschen nicht mitziehen wollten und damit das ganze Volk gefährdet haben. Es gibt einen Grund, weshalb das Volk vierzig Jahre durch die Wüste ziehen musste.

Unser Leben ist in eine große Verunsicherung geraten. Wir blicken zurück, wie es einmal war, weil wir wollen, dass es wieder so wird, und laufen damit Gefahr, wie einst Lots Frau zur Salzsäule zu erstarren, statt uns dessen bewusst zu werden, dass es anders werden wird und auch werden muss, dass wir aufbrechen müssen. Wir trauern um Menschen, die wir verloren haben, aber wir trauern auch um uns.

Wir brauchen auch diese Trauer. Sie ist wichtig, weil sie Teil des Abschiednehmens ist. Mit ihr wird deutlich, dass etwas in unserem Leben unumkehrbar anders geworden ist. Doch in jeder Trauer gibt es den Moment, in dem sich die Augen öffnen und wir erkennen, dass Leben, neues Leben trost- und kraftvoll möglich ist. Und genau so eine Geschichte erzählt uns Lukas im 24. Kapitel seines Evangeliums:

Die Emmausjünger

13 Und siehe, zwei von ihnen gingen an demselben Tage in ein Dorf, das war von Jerusalem etwa sechzig Stadien entfernt; dessen Name ist Emmaus. 14 Und sie redeten miteinander von allen diesen Geschichten. 15 Und es geschah, als sie so redeten und einander fragten, da nahte sich Jesus selbst und ging mit ihnen. 16 Aber ihre Augen wurden gehalten, dass sie ihn nicht erkannten.

17 Er sprach aber zu ihnen: Was sind das für Dinge, die ihr miteinander verhandelt unterwegs?

Da blieben sie traurig stehen. 18 Und der eine, mit Namen Kleopas, antwortete und sprach zu ihm: Bist du der Einzige unter den Fremden in Jerusalem, der nicht weiß, was in diesen Tagen dort geschehen ist?

19 Und er sprach zu ihnen: Was denn? Sie aber sprachen zu ihm: Das mit Jesus von Nazareth, der ein Prophet war, mächtig in Tat und Wort vor Gott und allem Volk; 20 wie ihn unsre Hohenpriester und Oberen zur Todesstrafe überantwortet und gekreuzigt haben. 21 Wir aber hofften, er sei es, der Israel erlösen werde. Und über das alles ist heute der dritte Tag, dass dies geschehen ist. 22 Auch haben uns erschreckt einige Frauen aus unserer Mitte, die sind früh bei dem Grab gewesen, 23 haben seinen Leib nicht gefunden, kommen und sagen, sie haben eine Erscheinung von Engeln gesehen, die sagen, er lebe. 24 Und einige von denen, die mit uns waren, gingen hin zum Grab und fanden’s so, wie die Frauen sagten; aber ihn sahen sie nicht.

25 Und er sprach zu ihnen: O ihr Toren, zu trägen Herzens, all dem zu glauben, was die Propheten geredet haben! 26 Musste nicht der Christus dies erleiden und in seine Herrlichkeit eingehen? 27 Und er fing an bei Mose und allen Propheten und legte ihnen aus, was in allen Schriften von ihm gesagt war.

28 Und sie kamen nahe an das Dorf, wo sie hingingen. Und er stellte sich, als wollte er weitergehen. 29 Und sie nötigten ihn und sprachen: Bleibe bei uns; denn es will Abend werden, und der Tag hat sich geneigt. Und er ging hinein, bei ihnen zu bleiben.

30 Und es geschah, als er mit ihnen zu Tisch saß, nahm er das Brot, dankte, brach’s und gab’s ihnen. 31 Da wurden ihre Augen geöffnet, und sie erkannten ihn. Und er verschwand vor ihnen.

32 Und sie sprachen untereinander: Brannte nicht unser Herz in uns, da er mit uns redete auf dem Wege und uns die Schrift öffnete? 33 Und sie standen auf zu derselben Stunde, kehrten zurück nach Jerusalem und fanden die Elf versammelt und die bei ihnen waren; 34 die sprachen: Der Herr ist wahrhaftig auferstanden und dem Simon erschienen. 35 Und sie erzählten ihnen, was auf dem Wege geschehen war und wie er von ihnen erkannt wurde, da er das Brot brach.

Gott hat uns nicht verlassen. „Der HERR ist wahrhaftig auferstanden!“ Darum lasst uns ihm folgen, weil sein Weg zum Leben führt.

Amen.

 

Pfr. Martin Dubberke, Predigt im Rahmen des Gedenkgottesdienstes für die Corona-Toten am 18. April 2021 in der Johanneskirche in Partenkirchen

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Predigttext: Ps 126
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