Liebe Geschwister, niemand soll und will sagen, wir hätten keinen Grund zur Sorge. Die Wahlen vor einer Woche haben deutlich gemacht, auf welchen Abgrund wir in unserem Lande zulaufen, ja geradezu wie in Panik versetzt losrennen. Und dann plakatiere ich in dieser Woche auch noch diesen Gottesdienst als „Schule der Sorglosigkeit“. Wie durchgeknallt muss Euer Pfarrer – also ich – wohl sein, in solchen Tagen, in denen ein Attentäter in unserem Land mit einer Schusswaffe und aufgepflanztem Bajonett in München unterwegs ist und erschossen wird, in Zeiten, in denen nach wie vor Raketen auf unschuldige Menschen geschossen werden, Kinder von einem menschenverachtenden kleinen Mann aus Moskau ermordet werden. Und dann komme ich daher und will Euch etwas von einer Schule der Sorglosigkeit erzählen. Wie schräg ist das denn?
Der Wochenspruch lädt uns ein, all unsere Sorgen auf Gott zu werfen. Eine wunderbare Vorstellung. Ich nehme meine Sorgen in die Hand und werfe sie auf Gott und sage: Du bist dran!
Wollen wir das mal versuchen? Wir nehmen einfach mal unsere Sorgen in beide Hände und werfen sie in Richtung Altar. – Versucht es einfach! Los, gebt Euch einen Schubs!
Und, spürt Ihr etwas? Seid Ihr erleichtert?
Naja, in dem einen oder anderen Gesicht sehe ich gerade ein Fragezeichen. Danke, dass Ihr Euch auf dieses kleine Experiment eingelassen habt. Ich glaube nicht, dass es so einfach ist, wie es klingt.
Hören wir doch noch einmal ganz genau hin, was Jesus zu uns sagt:
Ist nicht das Leben mehr als die Nahrung und der Leib mehr als die Kleidung?
Matthäus 6,25
Jesus lenkt damit unseren Blick auf das, worauf es wirklich ankommt. Schicke Kleidung von Dior und Co ist nett. Ich bin gerade in Verona gewesen und habe dort wirklich wunderschöne Sachen in den Modegeschäften gesehen und Menschen, die sehr elegant gekleidet waren. Aber reicht nicht auch der Anzug von C&A, um angezogen zu sein?
Und es muss auch nicht jeden Tag Fleisch sein. Es gibt auch andere bezahlbare Lebensmittel, die sogar gesünder sind. Und wir haben ein Sozialsystem, in dem niemand runterfallen muss und wir haben auch noch die Tafel, wo man Essen bekommt.
Kleidung und Nahrung sind da. Darum müssen wir uns nicht wirklich kümmern. Sondern im Mittelpunkt steht das Leben, die Frage, wie ich lebe, was meine Werte in diesem Leben sind. Und wenn meine Werte Kleidung und Essen sind, dann wundert es mich nicht, dass es in unserer Welt so ausschaut und zugeht, wie es gerade der Fall ist. Und deshalb konfrontiert uns Jesus auch noch mit einer anderen Wahrheit:
Wenn nun Gott das Gras auf dem Feld so kleidet, das doch heute steht und morgen in den Ofen geworfen wird: Sollte er das nicht viel mehr für euch tun, ihr Kleingläubigen?
Matthäus 6,30
Ja, Jesus hält uns für kleingläubig, wenn wir uns nicht um die Frage des Lebens kümmern, sondern nur um die Klamotten- und Futterfrage. Wenn wir uns nämlich nur um diese Fragen kümmern, kommt das auf, was wir Futterneid nennen. Und Futterneid ist Lichtjahre von dem entfernt, was Jesus Christus uns gepredigt, gepredigt und immer wieder gepredigt hat, nämlich die Nächstenliebe.
Wenn Futterneid unser Leben und unsere Entscheidungen leitet, wenn unser Egoismus das Navi in dieser Welt ist, dürfen wir uns nicht wundern, wenn unser Land und unsere Welt auf den Abgrund zuläuft, wenn unsere Demokratie Schaden leidet.
Aus unserem Kleinglauben sollte der Glaube an das Große und Ganze werden, das Gott uns in die Hand gegeben hat, als er die Welt geschaffen hat. Und er hat sie sehr gut geschaffen. Erinnern wir uns daran, was uns die Heilige Schrift über die Erschaffung der Welt berichtet. Nach jedem Schöpfungstag befand Gott sein Werk für „gut“. Als er fertig war, befand er sein Werk für „sehr gut“. Sie war also perfekt, vollkommen. Er hat eine Welt geschaffen, die alles hatte, um sorglos zu sein, weil alles in einem Gleichgewicht gewesen ist. Nicht Gott hat diese Welt dorthin geführt, wo sie heute ist, sondern wir Menschen mit unserem Kleinglauben, mit der Konzentration auf das Unwesentliche. Wenn wir uns auf das Wesentliche, das Leben konzentrieren würden, das Leben, so wie es uns Jesus Christus vorgelebt hat, dann sähe heute vieles anders aus.
Lasst und von kleingläubigen Vorstellungen Abstand nehmen, weil die uns am Ende des Tages richtig große Sorgen schaffen werden.
Jesus Christus sagt sehr deutlich, wonach wir wirklich trachten sollen:
Trachtet zuerst nach dem Reich Gottes und nach seiner Gerechtigkeit, so wird euch das alles zufallen.
Matthäus 6, 33
Das ist das Leben. Das ist das, worauf es ankommt. Und ich verrate Euch eines: Das ist kein Zuckerschlecken. Der Weg dorthin ist steinig. Er ist anstrengend – das können wir alles in den Evangelien und den Briefen in der Bibel nachlesen, da wird nichts schöngeredet – und genau dieser Weg aber führt ans Ziel.
Wenn es uns gelingt, uns an Gottes Gerechtigkeit zu orientieren und die ist eine vollkommen andere als die Gerechtigkeit, von der wir manchmal glauben, dass es Gerechtigkeit wäre. Die Gerechtigkeit Gottes ist dann hergestellt, wenn keine Menschen mehr wegen Krieg, Hunger oder Unterdrückung fliehen müssen. Die Gerechtigkeit Gottes ist dann hergestellt, wenn Menschen nicht mehr auf die Idee kommen, Grenzen dicht zu machen, sondern die Ursachen für Flucht und Vertreibung aus der Welt schaffen.
Das ist das Ziel. Alles andere ist Kleinglaube. Alles andere ist das Sorgen um Kleidung und Nahrung, um den ganz persönlichen Wohlstand, aber nicht um das, was Jesus mit Leben meint.
Schule der Sorglosigkeit bedeutet, die Ursachen für unsere Sorgen anzupacken und nicht die Symptome der Sorgen. Das ist der große Fehler. Lasst uns mehr Liebe wagen. Lasst uns mehr Nächstenliebe wagen.
Unsere Taufeltern heute haben auf der Suche nach einem Taufspruch etwas sehr Schönes gefunden:
Nimm dir Zeit zum Träumen
und Raum zum Leben.
Folge dem Weg,
auf dem dein Herz dich trägt.
Diese Zeilen stehen nicht in der Bibel, aber sie klingen, als hätte sie Jesus Christus uns direkt ins Herz gesprochen. Wir nehmen uns in unserer Welt viel zu wenig Zeit zum Träumen. Nur wenn wir uns Zeit zum Träumen gönnen, können Visionen, können Lösungen entstehen. Träume haben in biblischer Zeit eine sehr wichtige Bedeutung gehabt. Träume sind die Momente gewesen, in denen sich Gott den Menschen immer und immer wieder gezeigt hat, in denen er Menschen gewarnt hat oder Wege eröffnet hat. Und dann diesem Weg des Herzens zu folgen, das Zutrauen zu haben, diesem Weg zu folgen, den Mut zu haben, sich Gott anzuvertrauen, ist der erste Schritt, um in die Zone der Gerechtigkeit Gottes einzutreten.
Liebe Taufeltern, nichts anderes wollt Ihr für Euer Kind und deshalb habt Ihr ihm Verse aus dem 31. Psalm ausgesucht:
HERR, auf dich traue ich.
Denn du bist mein Fels und meine Burg,
und um deines Namens willen
wollest du mich leiten und führen.
Du stellst meine Füße auf weiten Raum.
Psalm 31, 2a.4.9b
Das ist ein Glaubensbekenntnis. Der Herr ist mein Fels und meine Burg. Mit anderen Worten: Gott ist der Beschützer meines Lebens. Gott soll mich in meinem Leben leiten und führen. Und ja, er stellt meine Füße auf weiten Raum. Weiter Raum ist die Freiheit, die mir Gott anvertraut. Und Freiheit ist das vollkommene Gegenteil von Kleingläubigkeit. Freiheit braucht Orientierung um nicht darin verloren zu gehen. Und genau deshalb bin ich auf Gottes Führen und Leiten angewiesen. Es ist Gottes Auftrag an Euch, liebe Taufeltern, Euer Kind auf diesem Weg zu begleiten, ihm diese Freiheit, die uns Gott geschenkt hat zu eröffnen und sie mit Euch gemeinsam kennen- und ihr vertrauen zu lernen.
Euer hat sich für heute ein Lied gewünscht. Dieses Lied – ich spiele es jetzt gleich mal an – wird Euch überraschen, denn beim Hören werdet Ihr Euch fragen, was das jetzt mit Gott, mit der Taufe und mit allem, worüber ich heute geredet habe, zu tun hat:
Hörst du die Regenwürmer husten
Wenn sie durchs dunkle Erdreich ziehen
Wie sie sich winden, um zu verschwinden
Auf nimmer-nimmer-Wiedersehen?
Und wo sie waren, da ist ein Loch,
Und wenn sie wiederkommen,
ist es immer noch!Hörst du die Regenwürmer husten?
Wie sie durchs dunkle Erdreich ziehen.
Wie sie sich winden, um zu verschwinden
Auf nimmer-nimmer-Wiedersehen?
Ein Schelm, der bei den Löchern an die Haushaltslöcher denkt. Aber mal ganz ehrlich, wer von Euch hat sich denn schon mal die Frage gestellt, ob Regenwürmer husten?
Seht Ihr? Unser Taufkind hat sich diese Frage gestellt und erinnert uns damit an etwas, was uns schon Jesus ins Stammbuch geschrieben hat: Wenn Ihr nicht seid wie Kinder! Also, was ist, wenn wir nicht fragen wie die Kinder?
Diese Zeilen sind bei weitem nicht so harmlos wie sie klingen. Sie lehren uns nicht nur genau hinzuschauen, sondern auch hinzuhören. Die Älteren unter uns haben sicherlich in ihrem inneren Ohr den Originaltext gehört:
Aufs freie Leben, noch einen heben,
doch bringt mich pünktlich zum Altar!
Diese Melodie, mit dem ursprünglichen Text bildet gewissermaßen den Subtext bei diesem harmlos daherkommenden Lied. Es läuft darauf hinaus, dass wir uns in unserem Leben am Altar orientieren, also an der Präsenz Gottes in unserem Leben.
Diese Zeilen lehren uns, auch mal ungewöhnliche Fragen zu stellen, auf die andere vielleicht nicht kommen. Und genau das meint Jesus. Als Christinnen und Christen haben wir ein anderes Sensorium für die Fragen dieser Welt, weil wir ein Wertesystem haben, das auf der Liebe beruht, mit der uns Gott in Gestalt von Jesus Christus begegnet ist. Und diese Liebe gilt nicht allein uns, sondern auch unserem Nächsten gegenüber. Wenn uns das gelingt, haben wir die erste und wichtigste Lektion in der Schule der Sorglosigkeit gelernt.
Amen.
Pfarrer Martin Dubberke, Predigt am 15. Sonntag nach Trinitatis, 8. September 2024, in der Johanneskirche zu Partenkirchen über Matthäus 6, 25-34, Perikopenreihe VI
Pfarrer Martin Dubberke | Bild: Johannes Dubberke