Seit wir Corona haben, leben wir anders. Sobald es warm wird, fallen die Inzidenzen, weil das Virus keine Wärme mag, und es drängt uns nach draußen. Egal ob Musik im Park oder einfach im Café sitzen, sich mit Freunden treffen oder Taufen und Hochzeiten feiern, und ja, es trauen sich dann auch wieder mehr Menschen in unsere Gottesdienste. Alle Welt plant in die warme Jahreszeit nach Ostern hinein. Und sobald es wieder kühler wird und die Nächte länger, steigen die Inzidenzen, gibt es Kontaktbeschränkungen. So schaut nun schon im dritten Jahr der neue Rhythmus unseres Lebens aus?
Aber, ist es wirklich ein neuer Rhythmus? – Ich habe einmal vor langer Zeit ein Buch über Martin Luther gelesen, in dem es so ganz nebenbei auch um das Leben in den Jahreszeiten ging. Und genau daran musste ich vor einer Weile denken, als ich mal wieder mit Menschen über das Thema Corona ins Gespräch gekommen bin. Mit einem Male musste ich an den St. Martinstag denken und seine Geschichte.
Zu Sankt Martin war die Ernte eingefahren und man musste nicht mehr jeden Tag aufs Feld. Die Tiere kamen in die Stallungen. Alles spielte sich nun mehr im Hause ab. Es wurde der Flachs gesponnen, Sagen und andere Geschichten wurden erzählt und Traditionen weitergereicht. Erinnert Ihr Euch noch an den ersten Winter-Lockdown und die Ausgangssperren? – Im ersten Corona-Winter konnten wir nicht einmal die Christmetten feiern. Das Zuhause wurde ein neuer wichtiger Ort.
Mit Sankt Martin fängt aber noch etwas ganz anderes an. Die Martinsgans symbolisiert das Ende der fetten Zeit. Von nun an muss man von den Erträgen, dem Zurückgelegten leben. Und es ist auch kein Zufall, dass nach Sankt Martin am 12. November das Adventsfasten einsetzte. Mit dem Fasten beginnt auch eine Zeit der inneren Einkehr, der Besinnung, das eigene Leben und seine Beziehung zu anderen Menschen, zu sich selbst und zu Gott zu reflektieren. Eine Fastenzeit ist eine Bußzeit, also eine Zeit der Umkehr, in der man seine Beziehung zu Gott regelt und sein Leben wieder neu ausrichtet. In der Fastenzeit wurde viel gebetet, um den Geist auf die bevorstehenden hohen Feste vorzubereiten.
Wie wohltuend war es, in der zurückliegenden Adventszeit, dass es kein Gewimmel und Gewusel auf unseren Straßen gab? Keine Dauerberieselung mit „Driving home for Christmas“, sondern einige wenige Stände mit Glühwein, Punsch und Bratwurst, keine Einkaufshektik. Selten habe ich so entspannt die Advents- und Vorweihnachtszeit erlebt, ohne jede Geschenk-Einkaufshektik.
Tja, und gleich nach Weihnachten geht es nach einer kurzen Pause wieder in die nächste Fastenzeit und damit Besinnungsphase – um nicht wieder Bußzeit zu sagen – und mit Ostern wird es wieder wärmer und wir können mit einem Male die Auferstehung Jesu Christi ganz neu erleben, wenn es wieder wärmer wird, die Knospen aufbrechen und damit signalisieren, dass das Leben in eine neue Jahreszeit aufbricht, in eine Lebensphase mit geringeren Inzidenzen, eine Jahreszeit, in der wir das Leben wieder im Freien fröhlich mit einem neuen Sinn und Geist leben können.
Nur, damit mich niemand falsch versteht. Ich singe keineswegs ein Loblied auf dieses unsägliche Virus. Aber es gibt Tage, da muss ich daran denken, dass Gott uns Menschen einst mit Plagen zum Nachdenken und zum Umkehren gebracht hat. Und ganz ehrlich, ich fände es nicht so übel, wenn es ein Umdenken gäbe, ein Leben, das stärker im Rhythmus von Innerlichkeit und Äußerlichkeit, im Rhythmus von Buße – Umkehr – Aufbruch ins neue Leben gäbe. Das wäre ein heilsamer Rhythmus, der vieles im Leben und der Welt verändern würde.
Pfr. Martin Dubberke
Der Beitrag erschien im Gemeindebrief Frühjahr 2022 und ist entstanden vor dem Ausbruch des Angriffskriegs in der Ukraine.