Liebe Geschwister, wenn dieser Gemeindebrief erscheint, geht die Reihe von Landtagswahlen los, die vielleicht vieles in unserem Land verändern wird. Vor diesem Hintergrund muss ich mich an ein Gespräch mit einem Mann erinnern, mit dem ich mich in diesem Sommer in meinem Amtszimmer getroffen habe, nachdem er mir einen entrüsteten Brief geschrieben hatte, dass er jetzt aus der Kirche austreten werde, weil er sich nicht vom Bischof vorschreiben lassen wolle, was er nicht wählen soll. Ich muss jetzt nicht vertiefen, um welche Partei es sich wohl dabei gehandelt haben könnte. Und natürlich kamen die ganzen Punkte zur Sprache, die dafür sorgen, dass sich so viele Menschen den Blauen anschließen.
Ich versuchte, mich auf die zentrale Frage zu konzentrieren: Darf Kirche jemandem vorschreiben, was er nicht wählen soll? Ist das nicht eigentlich eine Art von Bevormundung und damit Entmündigung? Ist es nicht unser Ziel, Menschen auf dem Weg zu begleiten, als mündige Christinnen und Christen Entscheidungen auf der Grundlage unseres Glaubens zu treffen? Also auch politische Entscheidungen? Schließlich gilt der Glaube für alle Lebensbereiche und sollte unser ganzes Leben durchdringen.
Also frage ich mein Gegenüber, was ihn denn so für die Blauen einnehmen würde. Und er sagt: „Sie sprechen die richtigen Themen an.“
„Aber haben Sie auch das Parteiprogramm gelesen?“ frage ich zurück. Und er sagt, dass er das getan hätte, und das alles als richtig erachtet hätte. Zur Sicherheit frage ich noch einmal nach, ob er sich denn auch angeschaut hätte, wie sie die Überschriften umsetzen wollen.
Das war der erste Moment, in dem ich bei meinem Gegenüber ein ehrliches Fragezeichen im Gesicht gesehen habe. „Naja“, meine ich, „die Überschriften sind das eine, das andere ist die Umsetzung. Haben Sie nachgefragt, wie sie das umsetzen wollen? Sie müssen doch wissen, ob sie die Art der Umsetzung mit Ihrem Glauben vereinbaren können.“
Ich sehe das zweite ehrliche Fragezeichen in seinem Gesicht. Das ist der Moment, in dem ich das Gefühl habe, auf der richtigen Spur zu sein: „Schauen Sie, Sie wollen ja nicht aus der Kirche austreten, weil sie nicht mehr glauben, sondern weil sie nicht mit dem einverstanden sind, was der Bischof gesagt hat. Der Glaube bildet also weiterhin die Grundlage für Ihre Entscheidungen, für Ihre Lebensführung.“
Er stimmt mir zu.
„Also, müssen Sie sich und den anderen die Frage stellen, wie sie das umsetzen wollen und ob diese Art der Umsetzung sich mit ihrem Glauben vereinbaren lässt. Das bedeutet, dass Sie mit Hilfe der Zehn Gebote und insbesondere des Doppelgebots der Liebe, die Überschriften und auch die Umsetzung überprüfen müssen – wie bei jeder anderen Partei auch. Und dann werden Sie feststellen, dass das z.B. mit der „Remigration“ nicht geht. Zum einen, weil es sich nicht mit unserem Glauben vereinbaren lässt und zum anderen ist die Bibel voll von Fluchtgeschichten. Auch die Eltern von Jesus sind geflohen. Sie waren politische Flüchtlinge, weil Herodes Angst um seine Macht hatte, und daher seine Leute auf Jesus angesetzt hatte.“
Und so gingen wir viele Punkte miteinander durch und ich hatte am Ende das Gefühl, dass ich den Mann zum Nachdenken gebracht hatte. Und gleichzeitig hatte ich das Gefühl, an diesem Tag die richtige Strategie gefunden zu haben.
Im Zweiten Buch Mose, dem Buch Exodus, finden wir so einen Maßstab, an dem wir uns in solchen Fragen orientieren können. Unrecht wird nämlich nicht zum Recht, wenn ganz viele Menschen glauben, dass es Recht wäre:
Du sollst dich nicht der Mehrheit anschließen, wenn sie im Unrecht ist.
2. Mose 23,1
Als mündige Christenmenschen, sind wir in diesen Zeiten besonders herausgefordert, uns nicht von Wölfen im Schafspelz verleiten zu lassen. Als Christinnen und Christen Position zu beziehen, bedeutet aktiv den Glauben, der uns miteinander verbindet, öffentlich zu bekennen.
Euer
Pfarrer Martin Dubberke